Diese Rezension erschien zuerst 2007 im Magazin Persona Non Grata #73.
„Are we nearly there, yet?“. Nach mehr als 30 Jahren Bandgeschichte kann man sich diese Frage durchaus mal stellen. Der frühen, den damaligen Freizeitpunkzeitgeist ironisch kommentierenden EP „Part Time Punks“/ „Where’s Bill Grundy Now“ – von John Peel mit Radioairplay goutiert – folgten bis heute unzählbare Veröffentlichungen, 1996 die Auflösung der Television Personalities, 2004 die Reunion, und letztes Jahr mit „My Dark Places“ ein neues Album. Ein Album von kluger Traurigkeit und spröder Intimität.
Television Personalities – Psych, Punk, Pop
Der holprig-charmante, dünn arrangierte Psychpunkpop früherer Tage präsentierte sich dort gereift zu einer introspektiven Bestandsaufnahme eines gut abgehangenen Dan Treacy, seineszeichens Gründungs- und über die Jahre einzig konstantes Bandmitglied. Während Dan, wegen Drogen und so, im Gefängnis verweilte, hielt sich im Internet ein stiller Kult um die vielleicht einflussreichste, aber finanziell stets untervergütete englische Indieband jenseits von Arena-Britpop.
Befeuert von derlei Zuspruch und einem guten Deal mit Domino Records nahm Treacy, aus dem Gefängnis entlassen, seit langer Zeit mal wieder eine Gitarre in die Hand und schrieb. Titel wie „There’s No Beautiful Way To Say Goodbye“, „I Hope Your Happy Now“, und „My Dark Places“ erzählen, größtenteils über rhythmischen, schweren Klavierdreiklängen, von der ewig, gleichen Alltags-, Zukunfts- und rückwärtsgewandten Scheisse, mit der man sich halt so rumschlagen muss. Geschichten von Mädchen und Jungs, denen kaum etwas ferner läge als sich Frauen und Männer zu nennen – eine Art Dauerjuvenilität im Gewand eines frühvergrantelten Teiltzeitschlechtgelaunten scheint in Treacys Songs.
Rohe Skizzen nach dem Knast
Die Stücke auf „Are we nearly there, yet?“, stammen aus Sessions von 2005, kurz nach Treacys Entlassung, und erwecken den Eindruck rohe Skizzen zum ein Jahr später erschienenen „My Dark Places“ zu sein. So besteht „You are loved“ z.B. aus der selben Pianofigur, wie das famose „Tell me about it“ von „My Dark Places“ (Textprobe: „Teil me anything // even your shopping list // just let me know i’m safe“).
Man hat das Gefühl, ein resozialisierter Weggesperrter rekonfiguriert sich und sein Songwriting neu. Spielerisch offen, aber gewohnt schweren Gemüts. „All The Kings Horse’s“ klingt wie loungig swingende Alleinunterhalterdudelei, einer alten Karaokemaschine entsprungen. Das rufende „I Get Scared When I Don’t Know Where You Are“ fährt mit bärigen Feedbacks auf. Und der Opener machte sich, mit seinen übermütigen Kinderliedharmonien, durchaus gut als Soundtrack für schlaues Kinder- (und natürlich auch Erwachsenenfernsehen) vom Schlage Spongebob.
„Are We Nearly There Yet?“
Die Frage, die der Albumtitel wie ein launisches Kind, ärmelzupfend vom Rücksitz stellt, versuchen die 13 Songs gar nicht erst zu beantworten. „Are We Nearly There Yet?“ rückt kindbekannte Interessen („Can I Have An Ice Cream?“), Launen („No, I Don’t Wanna Go To McDonalds“) und Probleme („I’m Getting Very Tired, Mum. I’m Cold.“) in einen altersunabhängigen, allgemeingültigen Fokus, und bootet eine verklärende Hoffnungslosigkeit mit lakonischem Seufzen aus. Die Dichte von „My Dark Places“ geht dem offiziell zehnten Album der TV Personalities zwar ein wenig ab, was bleibt ist aber ein lebendiges Zeugnis der TVP-typischen Mixtur aus Mod, Punk und Syd Barrettscher Psychedelik. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die bereits erschienene „My Dark Places Remixes“-EP, mit Stücken von E*Vax, Battles, Lingling und Black Dice.
Martin Hiller