Die wiener Experimental-Elektroniker Radian haben ein gemeinsames Album mit Howe Gelb gemacht. So richtig als ein zusammen gemeinsam gemachtes Album lässt es sich dann aber wieder doch nicht bezeichnen. Vielmehr schnürten Radian als Konstrukteure ihrer eigenen Collage hier Fragmente und Fetzen aus mehreren Sessions mit dem Giant-Sand-Mastermind aus Tucson, Arizona zusammen. Das zwischen experimenteller Electronica und aneinander geperlten Geräuschclustern osszilierende Resultat geht sich zusammen mit den skizzenhaften Ansätzen Howe Gelbs recht gut aus, wie man im Österreichischen eben so sagt.

Nähern wir uns diesen Geräuschen also über ihren Ursprung, ihrer Wurzel – ihren Roots: dem Americana von Giant Sand.

Teil I – Howe Gelb & Giant Sand

Noise, Country, Lofi – New Americana

Giant Sand - Promophoto zu "Chore Of Enchantment", 1999 (Quelle: http://sa-wa-ro.com)

Giant Sand – Promophoto zu „Chore Of Enchantment“, 1999 (Quelle: http://sa-wa-ro.com)

Vor einigen Jahren, irgendwo zwischen den Neunzehnhundertneunzigern und dem neuen Jahrtausend, hatte das Genre Americana mal wieder eine Art Revival.

Was in den Sechszigern mit Bob Dylan und dessen Basement-Tapes seinen Anfang nahm, entwickelte sich mit Umwegen über Gruppen wie R.E.M. und den Meat Puppets zum sogenannten Alternative Country. In den Neunzigern dominierten Bands wie Wilco, Grandaddy und Lambchop in diesem Metier. Allesamt wirkten mit musikalischen Mitteln aus Country, Bluegrass und Folk – wurzelten vom Geist und ihrer Sozialisition aber doch in Independent, Grunge und Punk, waren also im besten Sinne alternative.

Um die Jahrtausendwende herum ging dann – auch getragen von einem neuen Do-It-Yourself-Geist und den Möglichkeiten des Bedroom-Recordings – das große Schnuffeln der bärtigen Barden los. Iron & Vine, Fleet Foxes und wie sie alle heißen öffneten das Americana-Panorama wieder für oppulentere, weniger kratzige Arrangements.

Giant Sand machten den ganzen (und vor allem den kratzigen) Kram bereits seit Ende der Siebziger und schrammten dabei doch immer am richtig großen Fame vorbei.

Ausgerechnet den im Vergleich zu Giant Sand eingängerigen Klängen von Calexico – einem personellen „Spin-Off“ von Howe Gelbs Gruppe – gelang es im Rahmen dieser neuen New Americana überall und omnipräsent und weit erfolgreicher als es Giant Sand jemals vergönnt war, herumzuohrwurmen. Im Zuge dieser neuen Americanaabfeierei hörte man ihre Stücke irgendwann gefühlt in jedem Roadmovie und jeder zweiten Biermischgetränkewerbung. Allerorten schlug einem dieses staubige Country-Western-Tex-Mex-Ding um die Ohren, weil das irgendwie plötzlich angesagt und kultig, so tarantinomäßig irgendwie war. Kurz darauf hatte dann auch der Indie-Folk-Barde aus dem Bedroom nebenan seine Säuselsongs mit Lapsteel-Gitarren vollgeklatscht. Von Weite, Wüste und Staub im Sound war da kaum noch etwas übrig in diesem countrifizierten Konsenspop.

Heartland Feelings aus dem Synthesizer

Heartland Feelings treffen auf Synthesizer - Auszug aus dem Booklet zu "The Sophtware Slump" von Grandaddy

Heartland Feelings treffen auf Synthesizer – Auszug aus dem Booklet zu „The Sophtware Slump“ von Grandaddy

Bands wie Grandaddy, Wilco und eben Giant Sand vermittelten in den neunziger Jahren dagegen eher ein Bild dessen, was man – in Anlehnung an ein Stück von Beck – vielleicht Heartland Feeling nennen kann.

Die Stücke von Grandaddy lebten von ihrer Wärme im Sound, von Experimentierfreude und von einem Buzz, einem zikadenartigem Sirren, das in einer Reibung zwischen der vermeintlichen Linearität der synthetischen Klangerzeugung und der durch den Stolperfaktor Mensch bedingten Rumpelhaftigkeit entstand. Grandaddy löteten eine windschiefe Wüstenhaftigkeit zwischen Desert Rock & moogy Krautmusik in die Schaltpläne des Formats Independent-Rock hinein. Friends Of Dean Martinez wiederum waren eine gute Lofi-Alternative zu den doch eher polierten Stücken von Calexico. Ähnliches gelang hierzulande Das Weeth Experience und Halma aus Hamburg mit ihren langgezogenen, schleichend voranwehenden und zuweilen bis zur kribbelnden Ereignislosigkeit dahinlullenden Instrumentalnebeln: eine gelungene Verquickung von Post-Rock & Stoner – vom Schubhaften entschlackt, an Rückkopplungen festgetaut.

Windschiefe Wüstenhaftigkeit

Wilco fädelten, die Vorgängerband Uncle Tupelo eingerechnet, seit den frühen Neunzigern Elemente von Country in ihren, von Album zu Album angenehm kunstsinniger werdenden Alternative Art Rock. Ihr im Jahr 2002 erschienenes, latent verkopftes „Yankee Hotel Foxtrott“-Album fächerte das Americana-Ding in seiner herumelaborierenden, von übermäßigen Freakouts entschlackten, dafür aber umso pointierteren – und nicht zuletzt auch von Jim O’Rourke mitproduzierten – Psychedelia in weitere Aspekte auf.

Minimal instrumentierte, verwirbelte Zeitlupen-Americana auf baumwollweichen Klavierwolken: Lambchop - "Is A Woman"

Minimal instrumentierte, verwirbelte Zeitlupen-Americana auf baumwollweichen Klavierwolken: Lambchop – „Is A Woman“

Im selben Jahr legten Lambchop mit „Is A Woman“ dann ein ähnlich genialisches, im Soundbild noch wärmeres, lyrisch und musikalisch von einem edlen Schwermut bestimmtes Album vor. In ebenso minimalistischer wie formvollendeter, um die Ausdruckskraft von langsamstem Jazz und tiefem Soul wissende Art und Weise vermochten Lambchop dieses heartländliche Gefühl hier mit all seinen „daily growls“ in den Tages des späten New Cobweb Summer in Albumlänge einzufangen.

Hier stimmte alles: zurückgenommenes Tempo ohne Verlust von Dringlichkeit, eine baumwollweiche Produktion, die das – im Vergleich zu vorhergehenden und nachfolgenden Alben – reduzierte Instrumentarium, bestimmt von bauchiger Jazzgitarre und loungy Klavierwolken, bestens in Raum und Szene setzte. Umspült und umflirrt wird alles von sirrenden Electronica-Elementen, die nicht zuletzt auch Schneider TM zu einem Remix inspirierten.

Every Grain of Sand…

Kurzum: während sich der sogenannte Mainstream in Form von Slide-Gitarren-Sülze und Cowboy-Rockwurstgeschaukel breitbeinig an seiner Prollversion von Americana abarbeitete, gab es also immer auch die interessanteren Signale in den Nebenstromkreisen.

Giant Sand sendeten von dort – von den schlicksandigen Ufern des nebenländlichen Stroms – also schon seit den frühen 1980er Jahren ihre Alben in die Welt und machten als loses Kollektiv um Howe Gelb mit ihren schiefschrötigen Alben zwischen Lärm, Lapsteel und Lofi-Stoner einfach unbeirrt weiter, wie sie es auch davor schon seit vielen Jahren taten.

Das Kollektivistische, Familiäre, das Jambandhafte und die Art und Weise wie hier Hippie, Punk und Desert-Rock ganz selbstverständlich zusammengedacht wurden, stellt Giant Sand damit in eine Nähe zu Grateful Dead oder Bardo Pond, nur weniger bedrogt. Auf allen Giant Sand-Alben tummelten sich immer wieder allerhand Gast- und Mitmusizierende. Im Jahr 2012 hat Howe Gelb sein Projekt für die Rock-Country-Oper „Tucson“ dann – der zweistelligen Teilnehmerzahl angemessen – unter dem Namen „Giant Giant Sand“ neu formiert.

"Giant Giant Sand" - Howe Gelbs Projekt Giant Sand in der Version des Jahres 2012

„Giant Giant Sand“ – Howe Gelbs Projekt Giant Sand in der Version des Jahres 2012

Im 1990 veröffenlichten Cover von Bob Dylans Grain of Sand zeigt sich dieses Jamband-Feel von Giant Sand ganz gut. Am Ende dieses angeschossenen Achtminüters rumpeln Boogie-Klavier, Geige, Gitarren und Mandoline alle munter – und dem dylanschen Basement-Tapes-Feel dabei Tribut zollend – mit- und umeinander herum, dass es eine selige Freude ist.

In dieser Entfaltung eines gemeinsamen Musikmachmoments, im Zusammenspiel, in also diesem Bliss zwischen Rückkopplungen und Roots Music bäumt sich das Gigantische, das die Band im Namen trägt auf – hier setzt sich das Grollende, der Garage-Fuzz, der Grunge-Sound und das Dampfkesselnde von Giant Sand frei. Es schürft, grieselt und graint in den besten Giant-Sand-Momenten gewaltig, ohne dabei in wüsten Wüstenprollrock zu verfallen. In den Uptempo-Nummern wie z.B. „Some Kind Of Love“ (ebenfalls vom 1990er Album „Swerve“) erinnert das in seiner schmachtvollen Erruptvität und den slicken Gitarrenanschlägen dann gar an den Verve von Jeffrey Lee Pierces Gun Club, die das Americana-Rootsige auf ihre Art wiederum mit erratischem Goth-Country-Blues-Punk zu pflegen wussten.

Das Album „Swerve“ ist eingeklammert und gerahmt von instrumentalen Stücken und Skits mit wiederkehrenden Motiven. Hier zeigt sich ein Faible fürs Fragmenthafte, ebenso wie für das Konzeptionelle – bei aller Looseness, die der Musik von Giant Sand stets zu eigen ist, wird hier also nach einem Prinzip der in sich schlüssigen Rahmen gedacht.

System sprödschöner Lofi-Rumpler

Howe Gelb - "Spun Some Piano"

Howe Gelb – „Spun Some Piano“

In seinen Soloaufnahmen widmet Howe Gelb sich noch pointierter und reduzierter dem Fragment – den Noodlings, dem Ogling, dem Spun und dem Snarl sowie auch dem Lullaby. An den hier verlinkten Alben erkennt man Howes Hang zum Arbeiten und Veröffentlichen in seriellen Konzepten, zu einem Arbeiten in losen Systematiken, die mit jedem Release zusammenwachsen und den roten Faden einer künstlerischen Vision durchscheinen lassen. Per Albumtitel wird eine Umklammerung und eine Rahmung hergestellt, die als Wortsinn gern auch auf sich selbst, seine Form und seine Methode verweist. So benennt Howe Gelb in seinem 1998 erschienenen Soloalbum „Hisser“ schon im Titel das Rauschige, die Verrauschtheit und den schroffen Spleen, den diese Sammlung sprödschöner Lofi-Rumpler verströmt – mal allein, mal mit verschiedenen Mitmusizierenden, bspw. den oben genannten Grandaddy, eingespielt.

Skizzen sind für Howe Gelb das Material, aus dem er – diese losen Anlegungen und Ausgangspunkte von Songs immer wieder variierend – seine Aufnahmen und Auftritte gestaltet. Manchmal kloppt er sie in der erstbesten Rotzform aber auch einfach auf Tonträger und belässt es dabei.

Genau hier, in der Liebe zur Roh- und Kaputtheit liegt der Punk in Howe Gelbs Alternative-Country-Kosmos begraben. Zugleich ist dieser Approach auch Zündschnur für jene hörbare Spielfreude, die durch alle seine Werke weht – mal edel croonend, mal kauzhaft krächzend, mal rumpelnd, mal rollend, immer erkennbar giant.

Ein bisschen erinnert das auch an Will Oldham und seine vielen Projekte – je nachdem mit welchem Alter Ego Oldham auftritt, variiert die Form der Darbietung seiner Lieder. Das zu seinen bekannteren Stücken zählende „When I See Darkness“ entfaltet sich in akustisch vorgetragener Solo-Form ganz anders als z.B. die 2012 veröffentlichte und nicht anders als beschwingt zu bezeichnende Neuaufnahme dieses Stückes, das 1999 erstmals auf dem nach dem Stück benannten Album unter Oldhams Alias „Bonnie ‚Prince‘ Billy“ erschien.

Hier liegt auch schon wieder so ein – für Giant Sand typischer – Kreis- und Schulterschluss: mit ebendem, mit Bonnie ‚Prince‘ Billy sowie u.a. Steve Shelley von Sonic Youth und M. Ward hat Howe Gelb sein letztes Solo-Album „The Coincidentalist“ eingespielt. Man könnte ewig so weiter machen und per Namedropping hier eine regelrechte Arche mit Vertretern der New Americana aufstellen und bliebe dabei doch allemal lediglich ausschnittshaft. Eine diskografische Verbindung zu Howe Gelb läge in den meisten Fällen jedoch nicht weit.

Vom Brutzeln und von Funken

Howe Gelb im Studio mit Radian (Photo: radian.at)

Howe Gelb im Studio mit Radian (Photo: radian.at)

Ob in Skizzen oder ausschweifenden Band-Gefügen, wie dem mit dem Voices Of Praise-Gospelchor eingespielten Album „‚Sno Angel Like You“: die Musik von Howe Gelb ist bei allem Traditionalismus und aller Tumbleweed-Romantik, die das Genre Americana immer so mit sich bringt, in seinen Anlegungen als Skizzen offen, Funken in den weiten Wüstenhorizont sendend, in den richtigen Momenten dabei laut und überbordend; keinen Genregrenzen irgendetwas, sondern nur der Musik und dem Song den bestmöglichen Wonnefaktor schuldig. Neben dem Noise und Punk der Anfangszeiten, kristallisierte sich mit den Jahren eine analoge Wärme, ein kratzendes Flimmern, ein giant-sandsches Trademark-Brutzeln heraus. Ihr sandiger Stoner-Rock entwickelte mit seinen Feedbackresonanzen einen Hang zum Fuzz und zum Doom.

Teil II – Radian vs. Howe Gelb

Rumpeln, Rieseln, Radian

Diese Liebe zum Brutzeln und zum Bruchstück eint Howe Gelbs Werk mit dem musikalischen Wirken der Elektrofrickler von Radian. Die Gruppe aus Wien widmet sich dem Prinzip der Skizze im Rahmen ihrer elektronisch-experimentellen Musik in Form der – mal mehr, mal weniger – sortierenden Bearbeitung von Klangmaterial, der Zusammen- und Aufeinanderlegung von klanglichen und tonalen Elementen, kurzum: der Arbeit mit Patterns, operierend im Dunstfeld zwischen Post-Rock und Proto-Click’n’Cuts.

Für „Radian verses Howe Gelb“ haben sich die drei Wiener für einige Sessions mit Howe Gelb zusammengefunden, sozusagen um Quellklänge für die zu collagierenden Stücke zu sammeln. Die tendentiell eher strenge Patternlogik der Electronica trifft hier auf das, in alle Richtungen offene, Schratige aus dem Kosmos Howe Gelb.

Radian verses Howe Gelb

Howe Gelb im Studio mit Radian (Photo: radian.at)

Howe Gelb im Studio mit Radian (Photo: radian.at)

Mit dem erwähnten Brutzeln beginnt auch „Saturated“, das erste Stück des Albums. Ein sleazy Schlagzeug bringt etwas Rhythmik rein, Bässe bummpern, Howe Gelb singt, spricht und …pfeift.

Ein leichter Glitch durchfurcht die perkussiven Elemente des Stücks und alles schwappt ins Folgestück „Saturated Beyond“, das die Störgeräusche, Lofi-Bleeps und Drums mit einem dezenten Hallpanorama unterlegt. Bis hierhin bleibt alles relativ melodiefrei und trocken. Die ersten acht Minuten des Albums machen den Eindruck eines Sichwarmtrommelns.

Im dritten Stück „I’m Going In“ geht es dann endlich doch tiefer rein, in die Dichte und den Sog der Sounds. Akustikgitarren, Mellotronklänge, sirrende Bleeps & Fieps verweben sich hier mit Howe Gelbs Gesang und Fetzen von proberaumtypischen Sprecheinwürfen („that’s not your signal …“) zu einem bildhafteren Gebilde. Auch auf vielen Aufnahmen von Giant Sand geben solche vokalen Field Recordings den Alben eine Tiefe und rücken sie näher an die Hörenden – gern nennt man sowas auch Authentizität.

Herumräumarbeit im Raum

Am Ende von „I’m Going In“ streut die Andeutung einer Figur am Klavier das Stück in seiner Coda nochmal lieblich auf.  Auf der für Radian typischen Collagenbaustelle stellt sich hier Betriebsamkeit und Arbeit ein. Dieses Elaborieren arbeitet jedoch weniger auf Pointiertheit hin, vielmehr ist es ein Hin- und Hergestelle der klanglichen Mittel und Elemente – eine Herumräumarbeit im Raum und seinen Ebenen. „From Birth To Mortician“ benetzt diesen Klangraum erst mit zerhackten, hart gegateten Lärmschnippseln in Form von gebitcrushten Stakkatos um ihn am Ende schließlich mit Rückkopplungen und Freakout-Gitarren in seinen lauteren, mahlströmenderen Farben anzumalen.

Eine americana-typische Farbe ist gemeinhin ja das Erdige, oft im Zusammenspiel mit der musikalischen Qualität des Amtlichen. Beide – erdig und amtlich – sind Schlüsselworte, die auf furchtbar volksnahen Leberwurstrock vom Schlage Gunter Gabriel, Bohnerwachsblues, Speckwesten und Südstaatenflagge im Schrebergarten sowie Schießbudenmusik für Schützenfeste denken lassen.

Bei aller Erdigkeit und allem Wüstenstaub vermeiden Radian zum Glück den breitbeinigen Schritt in den Fettnapf des Muckertums. Die vorliegende Verquickung von Americana und Avant-Elektronik gibt sich durchaus erfrischend. Erdig meint hier also mehr den Grain der Klangfarben, des Sounds. File under: sandig, staubig, bröcklig, fuzzy, flimmernd, ocker … Gelb eben.

Radian und Howe Gelb im Studio (Photo: radian.at)

Radian und Howe Gelb im Studio (Photo: radian.at)

„Return To Picacho Peak“ ist – der Titel deutet es an – eine Wiederkehr von Picacho Peak, einem Stück von Howe Gelbs Solo-Album „The Coincidentalist“. Scheppernde Snares und sirrende Zikaden schwirren hier um Gelb und seine blechernen Vocals. Alles schwillt und swellt langsam an, Equalizer- und Stereo-Tweaks arbeiten hier eine Räumlichkeit und Tiefe heraus, die dem Storytelling von Howe Gelb („i drive with no lights on // whenever there’s a full moon // and tend to sing along with the radio on // when i don’t know the tune“) eine geradezu cinematoskopische Entsprechung liefern. Getragen wird das alles von diesen Gelb-typischen Pianophrasierungen, die unter allem fließen und tröpfeln. Das Balladeske der Version auf „The Coincidentalist“ erfährt hier durch Radian eine Zerfräsung und Zersplitterung, die auch Radians Arbeit mit den Details des Sounds offenbart. Nebengeräusche und scheinbar Nebenmusikalisches wie das Knarren eines Stuhls und das Sirren der Zikaden werden verstärkt und in den Vordergrund gerückt, mal singulär als stimmungsbildende Fussel im Klangteppich, andermals ganz klassisch als Sample – als Grundlage von Strukturen und Grooves, die sich puckernd durch die Effektketten schleifen.

Freunde der Effekte

Auch Howe Gelb ist – bei allem Songwritersein – ein Freund der Effekte: neben den wilden Freakouts und Brutzel-Tüfteleien arbeitet er live und im Studio auch gern bei den minimalistischeren Stücken mit dezentem Effektpedaleinsatz. Begleitet von kaum mehr als einer Akustikgitarre, spendiert er seiner Stimme gern mal eine spröden Mittensound, der eine Trocken- und damit unmittelbare Dichtheit am Hörerinnenohr herstellt oder setzt gern Akzente mit kurzen Slap-Delayfahnen, die auch mal in den Orbit osszilieren und der Intimität des Gesungenen damit eine Art Eigenleben im Hinwegschweben geben. Auch das trägt, ähnlich der erwähnten Detailliebe Lambchops, dem Storytelling seiner Lieder Rechnung.

Der Teufel, der den Lagerfeuerklampfenklaus vom, nach sowas wie Sinn schürfenden, launischen (ein oft auf Howe Gelb angewendetes Attribut), sich mit seinem kreativen Herumgeschaffe in allerlei Bezüge zur Welt setzenden und diese auf Trosttauglichkeit abklopfenden, eben einem storytelling Stageman unterscheidet, steckt nunmal doch im Detail.

Auseinandersetzungen im Detail

Auf dem gemeinsamen Album zerhackfriemeln Radian die gemeinsamen Sessions mit Howe Gelb und setzen dessen Fragmente neu zusammen. So entstehen manchmal neue Fragmente, manchmal collagenhafte Ineinanderwebungen und in den schönsten Momenten ganz eigensinnig fließende, neue Musik – von scheinbar mondgemünzten Gezeiten gesteuert, mal in sich harrend, mal vorwärtsschwappend, dann wieder entrückt und von ausgestellter Sprödheit.

Radian haben aus den Details und Fragmenten der gemeinsamen Sessions mit Howe Gelb neue fragmentartige Sessionstücke collagiert. Es sind im Wortsinne also Auseinandersetzungen: musikalische Elemente werden auseinander- und wieder zusammengesetzt. Hierin, in der Zerstückelung, geht man natürgemäß auch in die Tiefe, in die Details, in das Innere. Als nähme man ein altes Transistorradio auseinander, zeigen sich hier, bei der Zusammenarbeit von Radian und Howe Gelb, je kleinteiliger es wird, die rostigen alten Spulen, Schrauben und Verspultheiten in einem anderen Licht. Jedes so frei gelegte Bumm, Tschack, Boing und Knarz ist hier aufgeperlt und ergibt am Ende ein anderes, kratziges Ganzes. Das Transistorradio übersetzt die Signale nach dem Wiederzusammenbau also anders, als Klang verschieden, irgendwo sind paar Schrauben locker, im Schaltplan gehen die Signale jetzt andere Wege, aber es kommt schlussendlich immer noch Musik heraus.

Vieles auf „Radian verses Howe Gelb“ bleibt im Fragmenthaften. Die Skizzenhaftigkeit der neun Stücke erinnert an Arbeiten von Patternvettern wie Ekkehard Ehlers, To Rococo Rot, das Kammerflimmer Kollektief oder Air Cushion Finish aus Berlin. Live lässt ihr streng-jazziger Approach auch an Tortoise denken.

Every Grain of Sound…

Die teilnehmenden Fraktionen dieser Gegenüberstellung von Radian verses Howe Gelb stehen zuweilen tatsächlich einander gegenüber und verfolgen eigene Wege, bis sich die musikalischen Mittel, die einzelnen Spuren wieder zu einem gemeinsam perlenden Geröllgewöll verdichten in dem jedes Grain of Sound sein Plätzchen im Gefüge hat.

Howe Gelb (nicht im Bild) und Radian (ebenfalls bildfern) im Studio (Photo: radian.at)

Howe Gelb (nicht im Bild) und Radian (ebenfalls bildfern) im Studio (Photo: radian.at)

„Radian verses Howe Gelb“ klingt ein bisschen, als träumte man sich fiebrig quer durch Howe Gelbs Diskographie. Fetzen schimmern lückenhaft von Ferne, in den vielmals durcheinander gefalteten Frequenzwelten hängen Stückchen der ursprünglichen Aufnahmen wie verirrte Glühwürmchen in einem alten Baum.

Die verschleppte Interpretation von Henry Mancinis „Moon River“ beschließt dieses Album in diesem Sinne passend als kleine, bruchstückhafte Minimalistik einer croonenden Coverversion.

Howe Gelbs Zerdehnungen von Samt-und-Sand-Americana finden in den Varianten, die Radian mit ihm generieren sozusagen ihre Entsprechungen und Weiterdenkungen in Richtung elektronischer Zerlegung und Zerbeulung.

Die Stücke versteigen sich in Verspulungen, umspült von Nuancen von Noise. Radian und Howe Gelb tauschen hier Blitze aus, manchmal entfernen sie sich fast ganz voneinander und zischeln ihrer Wege, kreisen im weiten Horizont über dem Heartland wie herumirrende Übermittlungen aus dem Inneren eines alten Satelliten … bis schließlich doch alle wieder im Schatten eines alten, toten Vulkans auf den Trümmern und dem Geröll eines längst vergangenen Ausbruchs zur Rast kommen und sich die Beulen aus dem Hut klopfen.

Es ist also eigentlich gar nicht so viel anders in dieser Variation des Americana-Panaromas.

 

Radian & Howe Gelb: John Norman, Martin Brandlmayr, Howe Gelb, Martin Siewert

Radian & Howe Gelb: John Norman, Martin Brandlmayr, Howe Gelb, Martin Siewert